Trauma, vegetatives Nervensystem, Taiji und Qigong

 


 

 

Als Taiji und Qigong-Lehrer und körperorientierter Psychotherapeut mit dem Schwerpunkt Trauma wird mir immer klarer, wie sehr die Dinge eigentlich zusammenhängen.

Obwohl Psychotherapie und Taiji/Qigong ähnliche Ziele haben, unterscheiden sich die Herangehensweisen doch erst einmal deutlich. Als Taiji- oder Qigong-Lehrer bekomme ich von einem Schüler einen ganz anderen „Arbeitsauftrag“ als von einem Klienten der eine Psychotherapie machen will. Darüber sollte Klarheit herrschen. Letztlich geschieht aber Wandel immer auf allen Ebenen unseres Seins und unser Körper und Nervensystem spielen dabei eine wichtige Rolle.

 

Es gibt inzwischen Entwicklungen in der Traumatherapie und neue Theorien über das vegetative Nervensystem, die für Taiji und Qigong-Praktizierende und Lehrende sehr interessant sein können. Sie beschreiben auf eine schöne Weise, wie „Muster im Körper“ entstehen und auch verändert werden können und warum gerade die Beachtung von Körperempfindungen dabei so wichtig sind. 

 

Eine dieser neueren Theorien über das vegetative Nervensystem ist die Polyvagaltheorie von Steven Porges. Sie gewinnt zunehmend Beachtung in ganzheitlichen Ansätzen der Gesundheitsfürsorge und in der Traumatherapie. Ich denke, dass die aus dieser Theorie erwachsenen Erkenntnisse auch hilfreich sind, um Taiji und Qigong besser zu verstehen, und ich werde sie im 2 Teil dieses Artikels übersichtsartig erklären. Auch möchte ich die alte daoistische und buddhistische Praxis des inneren Lächelns noch einmal vorstellen und zeigen, wie sie aus der Perspektive der Polyvagaltheorie eine neue Tiefendimension erhalten kann.  

 

Beginnen möchte ich aber mit dem guten alten Wissen über die Stressreaktion: 

 

Die alte Stresstheorie 

 

Das vegetative Nervensystem reguliert alle wichtigen Stoffwechselfunktionen unseres Körpers und passt sich den jeweiligen Herausforderungen an. Es unterscheidet dabei nicht zwischen „angenehm und unangenehm“ oder gar „gut oder schlecht“. Es unterscheidet aber zwischen den Kategorien „sicher/geborgen“ oder „unsicher/ gefährlich“. Je nach Einschätzung der Situation in der wir uns befinden, verändert sich das gesamte innere Milieu unseres Körpers. Wir kennen diesen Vorgang von der Alarm- oder Stressreaktion. Im Falle einer Gefahr, bereitet sich der Körper auf eine Angriff/Flucht-Reaktion vor, indem er alle Körperfunktionen auf Abwehr und Energiebereitstellung einstellt. Wir wissen, welche negativen Folgen es hat, wenn die physiologische Reaktion, die wir Stress nennen, als Dauerzustand in unserem Körper aktiv ist. Einer der ersten Stressforscher Selye nannte diesen Zustand adaptives Anpassungssyndrom. Es bewirkt, dass der gesamte Metabolismus aus der Balance kommt und der Körper sich im Notfallmodus befindet. Dieser Zustand kann im ungünstigen Fall viele Jahre lang anhalten und dazu führen, dass Menschen sich energielos und unwohl fühlen. Hier liegt sicherlich die Ursache für viele Krankheiten.  

 

Ich möchte 4 Aspekte der Stressreaktion hervorheben, die - meiner Meinung nach - für Taiji- und Qigong-Praktizierende bedeutsam sind: 

 

1.  Der Tonus der Skelettmuskulatur erhöht sich 

2.  Der Körperschwerpunkt und das Zentrum der Atembewegung steigen nach oben. Der Blutdruck erhöht sich und die Verdauungsfunktion wird eingeschränkt (Verlust der Mitte). Durch die Anspannung besonders der Beinmuskulatur verlieren wir das Gefühl dafür, dass die Erde uns trägt.  

3.  Unsere „Denkmaschine“ springt an, unser „Kopf wird stark aktiv“   

4.  Die Fähigkeit, den Körper von innen sensibel zu fühlen (Interozeption) nimmt ab.  

 

 

All das macht für ein Überleben in einer akuten Gefahr Sinn, denn so wird unsere Verteidigungsbereitschaft erhöht. Die Fähigkeit, durch Denken und Informationsverarbeitung Situationen und Gefahren richtig einschätzen zu können, war über Jahrtausende für uns Menschen die Überlebensstrategie. Gleichzeitig ist es in Situationen akuter Bedrohung nicht sinnvoll, eine besonders sensible Körperinnenwahrnehmung zu haben. Wenn wir uns in der Meditation oder beim Praktizieren von Taiji oder Qigong beobachten, dann können wir dieses evolutionäre Erbe in uns bemerken: das Denken hört so gut wie nie auf, und es ist meistens sorgenvoll und planend mit Vergangenheit und Zukunft beschäftigt. Wir sind die Nachfahren derer, die überlebt haben und das waren die, die Gefahren besonders geschickt einschätzen und durch Denken vorwegnehmen konnten.  

 

Beim Taiji und Qigong üben wir genau das Gegenteil von dem, was in der Stressreaktion passiert: 

 

1.  Wir lassen überflüssige Anspannung abfließen und verringern unseren Muskeltonus auf das Maß, das wir brauchen, um frei und aufrecht im Schwerkraftfeld stehen zu können. 

2.  Dadurch kann das Gefühl entstehen, das wir „sinken“ nennen. In diesem Prozess kann das Zentrum der Atembewegung nach unten in den Bauchraum sinken und wir fühlen, wie die Erde uns trägt.  

3.  Wir geben dem Denken weniger Beachtung, der Kopf wird „frei“  

4.  Wir lenken stattdessen die Aufmerksamkeit auf das sinnliche Fühlen. Wir nehmen die feinen Regungen und Empfindungen in unserem Körper wahr.  

 

 

Durch das beständige Üben kommen wir so aus dem Stressprogramm heraus, und es kann das Gefühl entstehen, dass wir sicher und entspannt auf der Erde stehen. In diesem Sinne sind Taiji und Qigong gewiss sinnvolle Stressbewältigungsmethoden.  

  

Das Bedürfnis nach Sicherheit 

 

Wir erleben uns selbst und die Welt nicht objektiv. Aufgrund von Vorerfahrungen und Prägungen interpretieren und konstruieren wir unsere Wirklichkeit in jedem Moment. Diese Interpretation geschieht nicht nur auf der Ebene von Gedanken, Einstellungen, Glaubenssätzen und Emotionen. Schon auf der ganz primären Ebene unseres Nervensystems gibt es eine beständige Einschätzung unserer aktuellen Situation. Steven Porges nennt diesen Vorgang Neurozeption. Neurozeption ist ein komplett unbewusster Vorgang, in dem unser „Nervensystem“ eine Einschätzung vornimmt, ob die Situation, in der wir uns befinden, also unser Leben in diesem Moment, sicher oder bedrohlich und unsicher ist. Aufgrund dieser Einschätzung stellt sich unsere Physiologie auf Wohlsein und Regeneration oder auf Alarm und Notfallprogramm ein. Die Neurozeption wird beeinflusst von den Voreinstellungen und Prägungen unseres autonomen Nervensystems und diese wiederum werden bestimmt von den Erfahrungen, die wir in unserer Lebensgeschichte gemacht haben. Wir haben als Kind gelernt, ob die Welt ein sicherer, vertrauenswürdiger Ort ist an dem wir willkommen und geborgen sind oder ob das Gegenteil der Fall ist. Die Art, wie unsere Lebensgeschichte sich in Körper und Nervensystem abspeichert, nennt man auch implizites Gedächtnis. Es handelt sich dabei nicht nur um unsere persönliche Geschichte. Wir wissen inzwischen, dass kollektive Ereignisse, insbesondere Kriegs- und Traumaerfahrungen, sich massiv auch auf nachfolgende Generationen auswirken. Aufgrund dieser Prägungen haben wir das Grundgefühl, dass alles sicher und „Ok“ ist oder eben ein Gefühl von Verunsicherung und unterschwelliger Bedrohung. Und davon hängt es ab, ob wir uns in einem Zustand von Wohlsein, und „frei fließender Lebensenergie“ befinden, oder eben in einem Notfallprogramm, welches verbunden ist mit eingeschränktem Metabolismus bzw. Energiefluss.  

 

Es ist also wichtig, dass wir, wenn wir durch das Üben von Taiji und Qigong Harmonie und Gesundheit verstärken wollen, ein inneres Gefühl von Sicherheit erlangen. Dabei kann eine geschützte Übungsumgebung ebenso helfen, wie eine Übungs-Gruppe, in der wir uns wohl und geborgen fühlen. Dem Übungssetting kommt in diesem Zusammenhang also eine große Bedeutung zu. 

 

Unser Leben wäre allerdings sehr eingeschränkt, wenn das Gefühl von Sicherheit immer nur dann entstehen würde, wenn wir den optimalen geschützten Rahmen um uns herum haben. Denn Taijiquan ist ja eine Kampfkunst und eine Kampfkunst, die nur in sicheren geborgenen Umgebungen funktioniert, wäre einigermaßen uneffektiv, um nicht zu sagen absurd.  

 

Da das Gefühl der Sicherheit zu einem großen Teil auf der Grundlage unserer Prägungen und der daraus resultierenden Erwartungshaltung der Welt gegenüber entsteht, geht es natürlich letztlich darum, dass wir das Gefühl von Sicherheit in uns selbst finden.  

 

Und genau hier können wir durch Taiji und Qigong Wesentliches lernen. Schon das regelmäßige Stehen in der Grundstellung kann uns das Gefühl von Stabilität und innerer Kraft vermitteln. Das Üben der ruhigen, klaren und langsamen Bewegungen verstärkt das Gefühl von Kontrolle und Selbstermächtigung. Wir können lernen, dass wir gut für uns selbst sorgen können. Aus diesem Grunde können Taiji und Qi Gong auch sehr effektiv im traumatherapeutischen Bereich eingesetzt werden. 

 

Die Polyvagaltheorie 

 

In den alten Stresstheorien wurden im Wesentlichen zwei Zustände unterschieden: Die durch den sympatischen Teil des Nervensystems ausgelöste Energiebereitstellungsreaktion, die uns auf Angriff oder Flucht vorbereitet und die durch den parasympatischen Teil des vegetativen Nervensystems ausgelöste Wiederherstellungs- oder Regenerationsreaktion.  

Wir wissen aber, dass unser Organismus noch weitere Möglichkeiten hat, um auf Bedrohungen zu reagieren. Wenn nämlich Flucht oder Angriff unmöglich sind, fällt der Körper in einen Immobiliesierungs- oder Totstellreflex. In diesem Zustand werden alle Stoffwechselaktivitäten auf ein Minimum reduziert. Diese Reaktion kann man sehr gut bei Wildtieren beobachten, die, wenn sie in den Fängen eines Raubtieres sind und nicht mehr entkommen können, ganz still werden und erstarren. Manchmal verliert der Angreifer dann das Interesse an der Beute und das Tier überlebt, dann löst sich die Erstarrung meist durch unkontrollierte Zuckungen und das Leben geht weiter.  

  

Diese Immobilisierungsreaktion geschieht auch bei Menschen in Traumasituationen. Traumaerfahrungen haben die Eigenschaft, dass sie sehr lange, manchmal lebenslange Nachwirkungen auf unser Nervensystem haben. In der Traumaerfahrung fühlen wir uns von etwas so überwältigt, dass wir es nicht mehr verarbeiten können und haben nicht die Möglichkeit, uns zu schützen oder zu flüchten. Alle Stoffwechselprozesse werden minimiert und auch das Schmerzempfinden wird reduziert. Auf psychologischer Ebene nennt man das Dissoziation. Dies geschieht bei Schocktraumen (Kriegserfahrungen, Unfälle etc. ), aber auch bei sogenannten Entwicklungstraumen. Das Konzept des Entwicklungstraumas bezieht sich meist auf die frühe Kindheit. In dieser Zeit sind wir offen, extrem verletzlich und schutzbedürftig. Für ein Baby kann es eine traumatische Erfahrung sein, wenn es mehrmalig für eine Stunde alleine gelassen wird, oder wenn es in einer emotional kalten Umgebung aufwachsen muss. Wie wir heute wissen sind traumatische Prägungen nicht selten und betreffen viele Menschen gerade in Deutschland mit Geburtenjahrgängen bis in die 70er Jahre hinein (Kriegskinder und Kriegsenkelkinder). Die Erfahrungen verbleiben im impliziten Gedächtnis unseres Körpers, prägen unser Nervensystem und beeinflussen unsere Stress Resilienz. 

Die Immobilisierungs- oder Erstarrungsreaktion wird vom parasympatischen Teil unseres Nervensystems ausgelöst. Genau genommen vom hinteren Teil des Vagusnervs (Polyvagaltheorie). Der Vagus ist der Hauptnerv des parasympathischen Nervensystems. Er ist der „Vagabund“, weil er so weit verzweigt ist. Der hintere Strang ist für die Immobilisierungsreaktion verantwortlich, während der vordere Strang des Vagusnervs eine ganz andere Funktion hat, er ist nämlich verbunden mit unserer Kommunikationsbereitschaft. Er enerviert  Herzraum, Mund/Rachenraum und (zusammen mit anderen Nerven) auch die Muskeln unseres Gesichts. Dieser vordere Vagusstrang findet sich nur bei höher entwickelten Säugetieren, die die Fähigkeit zur Kommunikation erlangt haben. Eine weitere Möglichkeit, mit Bedrohung und schwierigen Situationen umzugehen, ist die Fähigkeit des Menschen, sich durch Kommunikation und Kontakt gegenseitig zu beruhigen. Wenn uns dies gelingt, dann fühlen wir uns sicher und sind im Bereich gesunder Stressregulation. Wichtig ist zu wissen, dass die Aktivität des vorderen Vagusstrangs die Aktivität der Notfallprogamme (Angriff/Flucht, Immobilisierung) dämpft. 

 

Wir können also im Falle einer Gefahr 3 Zustände unterscheiden: 

1.  Wir fühlen uns sicher und bleiben kommunikationsbereit und offen (Vorderer Vagus) 

2.  Wir fühlen uns bedroht und mobilisieren Energie für Angriff oder Flucht (Sympatikus) 

3.  Wir fühlen uns überwältigt und hilflos und erstarren (hinterer Vagus) 

 

Diese Zustände können akut durch äußere Einflüsse ausgelöst werden. Sie können aber auch chronifiziert als dauerhaftes Grundgefühl, ausgelöst durch vergangene Erfahrungen, in unserem Erleben (implizites Gedächtnis) „hängenbleiben“. Sie beeinflussen den gesamten Metabolismus, unserer Gesundheit und Stress Resilienz. Wenn wir aus den Notfallprogrammen herauskommen und stattdessen die Aktivität des vorderen Vagus stärken, kann sich unser Nervensystem gut regulieren und wir sind offen für die Welt.  

 

Was können wir daraus für Taiji und Qigong lernen? 

 

Wir können jetzt besser verstehen, dass Ruhe und wenig Bewegung nicht immer gesund sind. Bei Menschen, die in der Immobilisierungsreaktion hängengeblieben sind, kann diese Ruhe nämlich eher ein Zustand von Dumpfheit, Abspaltung und Lähmung sein. Im Unterschied zu reinen Entspannungsverfahren, haben wir im Taiji und Qigong viele Möglichkeiten auch im Sinne von Mobilisierung und Aktivierung zu arbeiten. Dadurch, dass wir bewegte Formen und Bewegungsabläufe haben, können wir genau diesem Aspekt Rechnung tragen. Die Immobilisierungsreation ist verbunden mit dem Gefühl von Resignation und bewirkt eher eine zusammengesunkene Körperhaltung, deshalb ist es wichtig, den Körper in einer gesunden Struktur aufzurichten. Wie wir beim Taiji wissen, finden wir nur innere Kraft, wenn Yin (Loslassen und Entspannen) sinnvoll verbunden ist mit Yang (Struktur und Aufrichtung). Im Sinne der Polyvagaltheorie heißt das, den vorderen Vagusstrang zu aktivieren. Hier kommt dem Kampfkunstaspekt wieder eine wichtige Bedeutung zu. Wir wollen ja durch unser Üben reaktions- und interaktionsfähiger werden.  

 

Taiji-Lehrer/innen wissen wie wichtig es ist, die individuelle Balance von Yin und Yang zu finden. Manche Schüler brauchen mehr Mobilisierung und Aufrichtung (Yang-Aspekt) und andere brauchen mehr Loslassen und „Runter-Kommen“ (Yin-Aspekt), um in Balance zu kommen.  

 

Ein System von Feedback-Schleifen 

 

Wir können unseren Körper als ein System von Feedback-Schleifen verstehen. Wenn in unserem Bewusstsein das Gefühl von Gefahr entsteht, egal ob die Bedrohung real ist, oder nur in unserer Phantasie auftaucht, dann geschieht in unserem Nervensystem eine Stressaktivierung, die eine Kaskade von Reaktionen hervorruft, unter anderem die Tonisierung der Skelettmuskulatur. Die Information „Gefahr“ geht also vom Gehirn zu den Muskeln. Diesen Informationsfluss vom Gehirn in die Körperperipherie nennt man afferent. Allerdings fließen ca. 80% der Informationen in umgekehrter Richtung, also von der Körperperipherie zum Gehirn. Diese Informationsfließrichtung wird efferent genannt. Das bedeutet, dass unser Gehirn die ganze Zeit Informationen aus dem Körper bekommt. Im beschriebenen Fall bekommt es Informationen von angespannten Muskeln und anderen körperlichen Stressaktivierungen, und diese Botschaften signalisieren dem Gehirn wiederum „Gefahr“. So schließt sich die Feedback-Schleife. Diese, meist komplett unbewussten, Feedback-Schleifen verfestigen sich über die Jahre und bewirken, dass wir – besonders mit fortschreitenden Alter - immer unflexibler auf neue Situationen reagieren können. Beim Taiji und Qigong streben wir genau den gegenteiligen Zustand an, nämlich offen zu sein für neue Situationen und frisch in die Welt zu schauen wie ein Kind. 

 

 Das Model der Feedback-Schleifenmacht deutlich, wie sehr Körper und Psyche miteinander verbunden sind und eine Einheit bilden.  

 

 

Was bedeutet das für Taiji und Qi Gong? 

 

 Beim Praktizieren von Taiji und Qigong können wir den Körper und die Muskelspannungen bewusst fühlen, wahrnehmen und bewegen, und greifen so, auf einer höheren Ebene des Gehirns, in dieses ansonsten automatisiert/reflektorisch ablaufende Geschehen ein. Wir beeinflussen nicht nur unsere Muskelspannungen und unterbrechen die Feedback-Schleifen, sondern regulieren auch den Zustand unseres autonomen Nervensystems, den gesamten Metabolismus unseres Körpers und verändern unser „Lebensgefühl“.   

 

Aus der Perspektive der Polyvagaltheorie kommt in diesem Zusammenhang den Bereichen, die für Kommunikation und Kontakt zuständig sind, eine besondere Bedeutung zu, da sie mit dem vorderen Vagus und einer gesunden Regulation des Nervensystems verbunden sind.  

Dabei geht es auch um den Kontakt zu uns selbst. Kontakt wird blockiert, wenn die Notfallprogramme aktiviert sind. Je mehr Stress wir haben, desto weniger Kontakt haben wir zu uns selbst und zu anderen Menschen. Je mehr wirklichen authentischen Kontakt wir zu uns selbst und zu anderen haben, desto effektiver können wir Stress verarbeiten.  

 

 

 

Noch einmal zur Erinnerung; die Notfallprogramme können einerseits durch aktuell erlebte Bedrohung ausgelöst werden und andererseits als Grundstimmung chronisch in unserem Körper stecken. Im zweiten Fall nehmen wir die unterschwellige Stressaktivierun gar nicht mehr bewusst wahr.  

Die gute Nachricht ist nun: wenn der vordere Vagus, sozusagen unser Kommunikations- und Wohlseins-Netzwerk wieder aktiviert wird, dann dämpft er die Auswirkungen der Notfallprogramme, und unsere Körperphysiologie kann wieder auf Regeneration und Wohlsein schwenken.  

 

Ich möchte an dieser Stelle auf eine uralte im Daoismus und Buddhismus weit verbreitet Methode hinweisen, die ich etwas modifiziert habe und die in meiner Arbeit immer mehr Bedeutung bekommen hat: 

 

Das innere Lächeln 

 

Bei dieser Übung wenden wir uns dem Muskel-Nerven-System zu, das für Kommunikation zuständig ist. Mit einem positiven inneren Bild konzentrieren wir uns auf unsere Gesichtsmuskeln, fühlen sie und verändern so ihren Spannungszustand. Und das – so haben wir jetzt gelernt – hat Einfluss auf den vorderen Vagus. Wird er aktiviert, reguliert er die „Stimmung“ unseres autonomen Nervensystemsystems, indem er die Aktivität der beiden Notfallprogramme (Angriff/Flucht, Immobilisierung) dämpft. Die Verbindung besteht übrigens auch anders herum. Wenn die archaischen Notfallprogramme dominant sind, dann dämpfen sie die Aktivität des vorderen Vagus. Wenn wir zu sehr im Stress sind, können wir nicht mehr vertrauensvoll kommunizieren. Darum ist es in der Traumatherapie so wichtig, erst einmal ein grundlegendes Gefühl von Sicherheit zu erlangen.  

 

Das innere Lächeln, wie oben beschrieben, aktiviert unseren vorderen Vagus, und die „Stimmung“ unseres autonomen Nervensystems wird weniger von den Notfallprogrammen und mehr vom Wohlsein und Regulations-Netzwerk geprägt.  

In der Sprache von Qigong könnte man sagen: die Energie kann freier fließen.  

So wird verständlich, dass gerade diese Methode in einigen Qigong-Traditionen und auch in manchen buddhistischen Schulen so betont wird.  

 

Die spirituelle Dimension 

 

Beim Taiji und Qigong geht es, nach meinem Verständnis, nicht nur darum, Gesundheit und Wohlsein zu verbessern. Ebenso wichtig ist es, dass sich unser Verständnis für uns selbst und das Leben vertieft, und dass wir in Kontakt kommen mit etwas, dass man Spiritualität nennen kann.  

 

Das Wissen über das Nervensystem kann uns bewusst machen, dass unser Erleben keineswegs eine objektive Wirklichkeit abbildet, sondern geformt wird von Prägungen, Erwartungen und der Struktur unseres Nervensystems. Diese Prägungen und Gewohnheiten kann man auch mit dem Konzept von Karma in Verbindung bringen. Auf dieser Ebene ist das Ziel dann nicht mehr, schlechte, ungesunde Prägungen und Zustände in gute und gesunde zu überführen. Es geht vielmehr darum, zu bemerken und bewusst zu fühlen, wie sehr unser Erleben von diesem physiologischen, emotionalen und kognitiven Filtersystem geprägt wird. Wenn wir bemerken, dass wir in einer subjektiv erzeugten „Erlebensblase“ leben, die wir oft für die Wirklichkeit halten, dann kommen wir an die Schwelle, an der wir uns für das Mysterium des Nicht-Wissens öffnen können, dann begeben wir uns bewusst in den Raum der Unwissenheit und Unsicherheit. Um aber an diesen Punkt zu kommen, an dem wir uns bewusst auf die Unsicherheit und Offenheit unserer Existenz einlassen können, ist es notwendig, dass wir die verunsichernden Erfahrungen und Prägungen aus unserer Kindheit verarbeitet und beruhigt haben. Wir müssen erst einmal Sicherheit finden, um den Mut zu haben, uns auf die Offenheit und Unsicherheit unseres Seins einlassen zu können.  

 

 

 

 

 

 

 

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